Deutsch-Niederländische Schulleiterkonferenz

‚Was weiß ich über weiterführende Schulen in Deutschland? Nichts!‘

Erste Deutsch-Niederländische Schulleiterkonferenz in Kleve und Nimwegen

Am Mittwoch, den 12. Dezember 2018, fand zum ersten Mal eine Konferenz für deutsche und niederländische Schulleiter weiterführender Schulen statt. An der Konferenz nahmen jedoch nicht nur Schulleiter, sondern auch Mitarbeiter verschiedener Behörden teil, so wie die aufsichtführende Bezirksregierung (Düsseldorf) und die niederländische Organisation Nuffic sowie die Euregio Rhein-Waal. Während dieser Konferenz befassten sich mehr als 60 Teilnehmer in verschiedenen Gesprächsrunden mit den Unterschieden und Gemeinsamkeiten an weiterführenden Schulen in Deutschland und den Niederlanden. ‚Gemeinsam voneinander übereinander lernen‘ war das Motto der Konferenz, die vom Interregprojekt Nachbarsprache & buurcultuur, einem deutsch-niederländischen Schulaustauschprojekt organisiert wurde. Das Projekt wird von der Radboud Universiteit und der Universität Duisburg-Essen begleitet und von der Provinz Gelderland, dem Bundesland Nordrhein-Westfalen, der Europäische Union und der Taalunie gefördert.

Thema 1: Die Rolle der Schulleiter
Während des Programms, das am Vormittag an der ‘Gesamtschule am Forstgarten’ im deutschen Kleve stattfand, erläuterten Wim Horsch (Schulverwaltung IVOP Limburg) und Christiane Borchers (Schulaufsicht Düsseldorf) zunächst die Rolle des Schulleiters, danach die Schulleiterinnen Rose Wecker und Jutta Biesemann den Aspekt der Schülermotivation. Damit wurden zwei Aspekte angeschnitten, in denen sich der deutsche und niederländische Unterricht deutlich voneinander unterscheiden. Ein Schulleiter in Deutschland beschäftigt sich, wie Rose Wecker im Tischgespräch erklärte, vor allem mit dem Lehrplan, mit praktischen Angelegenheiten und Personalfragen, die wiederum häufig über das Landesministerium laufen, denn die Lehrerkräfte stehen im Dienst des Ministeriums. In den Niederlanden hingegen ist der Rektor in der Regel der Geschäftsführer, der die Strategie und die Positionierung der Schule ausrichten muss: welche Art von Schule will man sein und wie setzt man dafür welche Mittel ein?

Dieser Unterschied in den Zuständigkeitsbereichen der niederländischen und deutschen Schulleiter führt dazu, dass die Schulleiter in den Niederlanden deutlich flexibler als deutsche Schulleiter handeln können, da letztere z.B. bei Stellenbesetzungen zunächst immer auf die sogenannten ‘Planstellen’ der Bezirksregierung warten müssen. Bekommt eine deutsche Schule eine ‘Planstelle’ zugewiesen, kann sie selbst darüber entscheiden, wie diese besetzt wird. Wenn allerdings keine oder keine ausreichenden Planstellen verfügbar sind, können auch keine Lehrer eingesetzt werden. Ein Vorteil bei niederländischen Schulen ist, dass sie, wenn nötig, die Klassengröße anpassen können, sodass durch größere Klassen andere schulische Elemente finanziert werden können. Durch die Konkurrenzsituation zwischen den niederländischen Schulen sehen sie auf der einen Seite die Wichtigkeit der Anpassung der Schulen an aktuelle, weltliche Entwicklungen, auf der anderen Seite werden keine Sparmaßnahmen eingeführt, da das eingesparte Geld nicht zurück an die einzelnen Schulen fließt, sondern an die Schulgemeinschaft zurückgeht.

Thema 2: Sonstige Leistungen / Beteiligungsnote
Für die niederländischen Teilnehmer war vor allem das Thema ‘Motivation’ interessant, da deutsche SchülerInnen ebenfalls Noten für ‘sonstige Leistungen’ bekommen, was mitunter eine aktive und regelmäßige mündliche Beteiligung miteinschließt. Für Deutsche sei das selbstverständlich, wie Jutta Biesemann erklärte; es ist sowohl angenehm für die Lehrerkräfte, wenn sie auf aktive SchülerInnen treffen, als auch für die SchülerInnen selbst, da sie die Note als Ausgleich für schlechte schriftliche Arbeiten verwenden können. Niederländische Schulleiter finden das erstaunlich. „Wie kann man die mündliche Beteiligung am Unterricht objektiv messen und was hat das für Auswirkungen auf den Lernprozess? Sollten wir überhaupt durch Noten motivieren? Wäre es nicht besser, die Schüler zu mehr Eigenverantwortlichkeit zu erziehen?“, fasste NSG-Direktorin Hanneke Arpots ihre vielen Fragen zusammen. Dennoch war sie genau wie Marij van Deutekom (Schulleiterin Notre Dame), die das deutsche ‚Baustein‘-Modell gern näher erkunden will, vom differenzierten und schülergerichteten Unterricht an vielen deutschen Schulen beeindruckt.

Offensichtlich ist auch die Rolle der Lehrerkräfte sehr unterschiedlich: In Deutschland ist ein Lehrer eher ein ‘beziehungsorientierter Leiter’, der also die Leistungen der SchülerInnen beurteilt, doch die Note für regelmäßige Teilnahme wird keineswegs als Strafe angesehen. In den Niederlanden wird vorausgesetzt, dass ein Lehrer nicht konfrontiert und bei der Beurteilung sehr vorsichtig vorgeht. Aus diesem Grund ist die Haltung der niederländischen und deutschen SchülerInnen den Lehrkräften gegenüber auch eine andere. Alle Beteiligten kamen jedoch zu dem Schluss, dass die Interaktion zwischen der Gruppe und der Lehrerperson der wichtigste Aspekt im Unterricht ist.

Thema 3: Digitalisierung
Nach einem warmen Mittagessen in der Schule, das alle deutschen Schüler täglich in einer langen, ‘erholsamen’ Mittagspause aufgetischt bekommen, fuhr die Rektoren-Gesellschaft in einer Autokolonne zur Schulgemeinschaft Groenewoud in Nijmegen. Dort standen die Themen ‚Digitalisierung‘ und ‚Schulgebäude‘ auf dem Tagesprogramm. Interessante Themen für Deutsche, da die Niederlande in der Verbreitung von Kommunikationstechnologien und im Gebrauch digitaler Lehrmittel viel weiter sind, wie Christiane Feldmann (Gesamtschule Emmerich) feststellte. Aber sie verband damit auch die Frage nach einem didaktischen Mehrwert der Digitalisierung: „Wir müssen Schülern natürlich im 21. Jahrhundert den Umgang mit Kommunikationstechnologien beibringen, aber wir müssen auch unseren eigenen Bildungsprozess, die Kommunikation mit unseren Schülern und den Gebrauch von Kommunikationstechnologie in den Fächern selbst weiterentwickeln. Wie weit seid ihr in der digitalen Kommunikation mit den Schülern, in der individuellen Anpassung der digitalen Kommunikation in differenzierten Lernprozessen?“ Ed van Loon (Notre Dame) stellte die Sachlage in den Niederlanden dar und wies sowohl auf die Vorteile einer gut ausgerüsteten ICT-Umgebung als auch auf die didaktischen Einschränkungen und Herausforderungen hin: „Für individuelles, schülergerichtetes Arbeiten ist die Digitalisierung ein gutes Hilfsmittel, aber alles steht und fällt mit der Didaktik der Lehrerperson“, eine Feststellung, die von Deutschen und Niederländern bestätigt und in den Tischgesprächen ausführlich besprochen wurde. Die Umsetzung in die Praxis, beispielsweise durch ein landesweites Training für Dozenten oder der Ausbau der ICT-Infrastruktur scheint in Deutschland ein größeres Problem zu sein als in den Niederlanden.

Thema 4: Das Schulgebäude
Das vierte Gesprächsthema beinhaltete die Anforderungen an die Schulgebäude und wurde von Janine Klein Willink der Schule OBC Huisen geleitet. Dabei verwies sie auf die Beziehung zwischen den offiziellen Anforderungen (bezüglich Sicherheit, Milieu und Zukunft) und den Wünschen ihrer Kollegen, beispielsweise einer Mitgestaltung des Gebäudes durch Schüler und Lehrer. Für Deutsche stellt das eine erkennbare Herausforderung dar. Doch der Spielraum und die dazugehörige Verantwortlichkeit der niederländischen Schulleiter ist viel größer: sie müssen immer mitdenken sowie die Gestaltung und Finanzierung des Gebäudes mitbestimmen, wohingegen in Deutschland eher die Stadt oder die Regierung die Initiative ergreift und der Schulleiter sich weniger einbringt. Die deutschen Schulleiter würden gerne mehr Geld in das Schulgebäude investieren, besonders in Bezug auf Räume für das ‘freie Lernen’, doch häufig kann das nicht finanziert werden.

Schlussbetrachtung:
Was ist nun besser? Diese Frage kann nicht beantwortet werden, so lautete das einstimmige Fazit. Die deutschen und die niederländischen Wirklichkeiten sind sehr verschieden. Wir sind Nachbarn und wollen in der Grenzregion zusammenleben, auch indem wir mit- und voneinander lernen – also auch durch Schule und Bildung.

Dass die beiden Länder auch mit ähnlichen Problemen konfrontiert werden, zeigt sich beim Thema ‘Inklusion’, das in beiden Länder ein großes Thema zu sein scheint – auch deswegen, weil es hierfür zu wenige spezifisch geschulte Lehrer auf dem deutschen und niederländischen Arbeitsmarkt gibt. Die Verflechtung zwischen der deutschen und der niederländischen Schulbildung und dem Arbeitsmarkt kann kommenden Generationen eine 360 Grad-Lebenswelt bieten, in der sie wohnen, lernen, arbeiten und sich erholen können, doch das erfordert zunächst eine Abstimmung in unserem Bildungsbereich.

Während der anschließenden Evaluation wurde vorgeschlagen, den Austausch auf Ebene der  zuständigen Behörden und unterstützenden Dienststellen fortzuführen, um noch spezifischere (versteckten) Ähnlichkeiten und (ungesehenen) Unterschiede auf die Tagesordnung zu setzen und um so den gemeinsamen Lernprozess noch weiter zu fördern.