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Familie Oestreicher

Die Vorfahren der Familie Oestreicher, deutsch-jüdische Familien wie Kisch, Laqueur und Löwenthal, sind ebenso weitverbreitet wie die Oestreichers selbst. Die Familie besteht aus Wissenschaftlern, Ärzten und Künstlern, die in ganz Europa beheimatet sind. Um die Familienbande aufrechtzuerhalten, finden viele Briefwechsel und Besuche statt. Mit der Zunahme des Antisemitismus und der Flucht einiger Familienmitglieder aus bestimmten Gebieten intensiviert sich der Briefverkehr.

Kurz bevor Felix Oestreicher mit seiner Frau Gerda und ihren drei Töchtern im Jahr 1938 von Karlovy Vary (Tschechien) in die Niederlande flieht, beginnt er seine „Drillingsberichte“ (1937-1943). Mit diesen Briefen möchte er seine Familienmitglieder über die Entwicklung seiner drei kleinen Töchter Beate (1934) und den Zwillingen Helli und Maria (1936) auf dem Laufenden halten.

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Stammbaum

Stamboom familie Oestreicher

Ga naar: Karl Oestreicher| Clara Kisch| Ernst Laqueur| Margarethe Löwenthal| Felix Oestreicher| Gerda Laqueur| Lisbeth Oestreicher| Marie Oestreicher| Peter Laqueur| Peter Laqueur| Renate Laqueur| Liselotte Laqueur| Beate Oestreicher| Helli Oestreicher| Maria Oestreicher

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Karl Oestreicher
Karl Oestreicher

Karl Oestreicher (1868-1915), Vater von Felix, arbeitet als Bezirksarzt in der Kurstadt Karlsbad (das heutige Karlovy Vary in Tschechien). Er heiratet Clara Kisch und sie bekommen vier Kinder: Felix (1894), Willush (1898), Lisbeth (1902) und Marie (1915). Sohn Willush ertrinkt 1911 bei einem Urlaub an der Ostsee. Karl stirbt Anfang des Jahres 1915, kurz vor der Geburt der Tochter Marie. Sohn Felix übernimmt später Karls häusliche  Arztpraxis.

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Clara Kisch
Clara KischClara Oestreicher-Kisch (21.11.1871, Marienbad – 12.04.1945, Bergen-Belsen) wird von ihren Enkelkindern und in den „Drillingsberichten“ „Omi“ genannt. Sie wächst als Älteste von fünf Kindern, vier Mädchen und ein Junge, auf. Ihr Vater, E. Heinrich Kisch, ist ein renommierter Arzt und Professor an der Universität in Prag. Clara heiratet Karl Oestreicher und bekommt vier Kinder: Felix (1894), Willush (1898), Lisbeth (1902) und Maria (1915). Sohn Willush ertrinkt 1911 bei einem Urlaub an der Ostsee. Kurz bevor sie ihre jüngste Tochter Maria zur Welt bringt, stirbt ihr Mann Karl und hinterlässt sie mit zwei Kindern und einem neugeborenen Baby. Zu dieser Zeit ist Felix, der Älteste der Familie, zwanzig Jahre alt und studiert Medizin. Er muss vorübergehend der Armee beitreten und übernimmt anschließend im Jahr 1918 die Arztpraxis seines Vaters. Somit kann er seine Familie ernähren. Als Felix heiratet und Kinder bekommt, wohnt „Omi“ Clara weiterhin bei der Familie und begleitet sie auch beim Umzug in die Niederlande. Am 12. April 1945 stirbt Clara im Konzentrationslager Bergen-Belsen, da sie zu schwach ist, sich dem Rest der Familie anzuschließen, der abtransportiert und schließlich in Tröbitz befreit wird.

Ernst Laqueur
Ernst Laqueur

Ernst Laqueur (7.8.1880, Obernigk – 19.8.1947, Furkapas) ist der Vater von Gerda, die mit Felix, dem Autor der „Drillingsberichte“ verheiratet ist. Ernst Laqueur lebt bereits seit einiger Zeit in den Niederlanden, als Felix und Gerda dort im Jahr 1938 mit ihren Kindern Zuflucht suchen. Laqueur ist Pharmakologe und Arzt, Co-Entdecker des Testosterons und Begründer der Endokrinologie (ein Gebiet der Medizin, das sich mit Hormonen und Stoffwechsel beschäftigt).

Ernst wächst in Schlesien in einer wohlhabenden jüdischen Familie mit zwei älteren Brüdern auf. Nach dem Abitur studiert er Medizin in Heidelberg und Breslau. Im Juli 1904 erhält er das Zeugnis über die ärztliche Prüfung und im Jahr 1905 promoviert er an der Universität Breslau. Am 1. April 1905 heiratet er Margarethe Löwenthal, mit der er zwei Söhne und drei Töchter bekommt, Gerda ist die Älteste. Ernst arbeitet an verschiedenen Standorten in Deutschland und zieht im Jahr 1912 mit seiner Familie nach Groningen, wo Laqueur zum Assistenten des Physiologen Hamburger wird. Während des Ersten Weltkrieges siedelt die Familie wieder nach Deutschland über, wo Ernst in Berlin die Vergiftung durch Kriegsgase untersucht. Er wird nach Gent versetzt, wo er im Jahr 1917 zum Professor ernannt wird. Nach dem Krieg wird Laqueur in Amsterdam Assistent von Professor Snapper und im Jahr 1920 selbst Professor. In Amsterdam erhält er außerdem sein eigenes Labor für die Produktion von Insulin und Insulin-Zubereitungen. Im Jahr 1922 gründet er gemeinsam mit Salomon van Zwanenberg (Direktor von Zwanenberg Schlachthöfe) und dem Mathematiker J.F. van Oss die Aktiengesellschaft N.V. Organon, ein kaufmännisches Unternehmen für die Herstellung von Organpräparaten auf wissenschaftlicher Basis.

Im Jahr 1941 wird er als jüdischer Professor von den deutschen Besatzern entlassen und der Zutritt zu seinem Labor wird ihm verboten. Während des Zweiten Weltkriegs wird er von Fremden geschützt und kann weiterhin in Amsterdam leben. Nach dem Krieg setzt er seine wissenschaftliche Arbeit fort. Im Jahr 1947 stirbt er im Urlaub in der Schweiz an einem Herzinfarkt, während er bei einem Verkehrsunfall zur Hilfe eilen wollte.

Literatur

  • Peter Jan Knegtmans, Geld, ijdelheid en hormonen. Ernst Laqueur hoogleraar en ondernemer. Boom: Amsterdam 2014.
  • Marius Tausk, Organon De geschiedenis van een bijzondere Nederlandse onderneming. Nijmegen: Dekker & Van de Vegt 1978.

Margarethe Löwenthal
Margarethe Löwental met haar oudste dochter Gerda 1906
Margarethe Laqueur-Löwenthal (12.6.1883, Brieg – 6.6.1959, Amsterdam) ist Gerdas Mutter und wird in den Briefen oft als „Mutti Gretl“ erwähnt. Sie ist eine Cousine von Ernst Laqueur und heiratet ihn im Jahr 1905. Das Paar lebt an verschiedenen Orten und bekommt fünf Kinder: Gerda (1906) wird in Heidelberg geboren, Peter (1909) in Königsberg, Hein (1914) in Braunschweig, Renate (1919) in Brieg und die jüngste Tochter Lilo (1922) in Amsterdam. Ebenso wie ihr Mann kann Margarethe, gemeinsam mit ihrer Tochter Lilo, auch während der Besatzung weiterhin in Amsterdam wohnen, wo sie im Jahr 1959 stirbt.

Felix Oestreicher
Felix Oestreicher 1929

Felix Oestreicher (19.5.1894, Karlsbad -  9.6.1945, Tröbitz) ist der Autor der „Drillingsberichte“. Er ist das älteste von vier Kindern und nimmt genau wie sein Vater den Arztberuf an. Als sein Vater im Jahr 1915 stirbt, wird Felix nach seinem Medizinstudium und einem Aufenthalt in der Armee zum Ernährer der Familie. Im Jahr 1918 etabliert sich Felix als Internist in der Praxis seines Elternhauses. Da in der Praxis in den Wintermonaten nur wenig Betrieb herrscht, kann Felix in verschiedenen Universitätslaboren Forschungsprojekte betreiben, u.a. in München, Wien, Berlin und Amsterdam. Die Ergebnisse seiner Forschung veröffentlicht er. Während seines Studiums in Amsterdam arbeitet er im Labor des Professors Ernst Laqueur und trifft dort dessen Tochter Gerda im Jahr 1929, die er am 9.12.1930 in Amsterdam heiratet. Sie leben in Felix´ Elternhaus in Karlsbad, wo sich auch dessen Praxis befindet. Im Jahr 1934 wird ihre erste Tochter Beate geboren und im Jahr 1936, anderthalb Jahre später die Zwillinge Helli und Maria.

Im Jahr 1937 beginnt er mit dem Schreiben seiner „Drillingsberichte“; Briefe, die seine Familie über die Entwicklung seiner Töchter auf dem Laufenden halten. In diesen unsicheren Zeiten zieht die Familie von Karlsbad in die Niederlande. Der Versuch, eine Auswanderung über die Grenzen Europas hinweg zu regeln, scheitert. Im November 1943 wird die Familie verhaftet und gemeinsam mit Felix´ Mutter, jedoch ohne seine Tochter Helli, nach Westerbork und später nach Bergen-Belsen deportiert. Felix beginnt in Westerbork mit einem Tagebuch, das auch selbstverfasste Gedichte enthält. Später wurden das Tagebuch und die Gedichte in Buchform veröffentlicht. Kurz vor der Befreiung aus Bergen-Belsen wird die Familie zusammen mit vielen anderen Juden aus Bergen-Belsen in einen Transport Richtung Osten gesetzt. Der Zug strandet in Tröbitz und wird Ende April 1945 von den Russen befreit. Felix, Gerda, Maria und Beate leben dort für einige Zeit in Freiheit. Geschwächt durch das Konzentrationslager stirbt Gerda jedoch am 31. Mai an Fleckfieber. Ihr Mann Felix folgt ihr einige Tage später, am 9. Juni 1945 und stirbt ebenfalls an Fleckfieber.

Literatur

  • Felix Oestreicher, Ein jüdischer Arzt-Kalender. Durch Westerbork und Bergen-Belsen nach Tröbitz. Konzentrationslager-Tagebuch 1943-1945. Konstanz: Hartung-Gorre Verlag 2005.
  • Gedichte von Felix Oestreicher, in den Konzentrationslagern geschrieben (auf Deutsch verfasst und ins Niederländische übersetzt). Felix Oestreicher, Naderhand/Nachher. Enschede/Doetinchem: AFdH Uitgevers 2013 Auch eine englische Ausgabe des Sammelbands mit dem Titel Afterward / Nachher ist verfügbar.

Lisbeth Oestreicher
Lisbeth Oestreicher 1932

Lisbeth Birman-Oestreicher (27.5.1902, Karlsbad – 6.11.1989, Amersfoort) ist das zweite Kind von Clara und Karl Oestreicher. Nach der höheren Schule besucht Lisbeth die Kunstakademien in  München und Wien und wird im Jahr 1926 am „Bauhaus“ in Dessau angenommen. Während ihres Studiums entwirft sie Vorhänge und Möbelbezugsstoffe für verschiedene deutsche Textilfabriken. Nach der Beendigung ihres Studiums emigriert sie in die Niederlande, arbeitet als freischaffende Stoffdesignerin für mehrere Unternehmen und eröffnet anschließend ihr eigenes Atelier in Amsterdam. Als ihre Schwester Marie ihr Studium in Wien absolviert hat und im Jahr 1937 in die Niederlande kommt, arbeiten die beiden zusammen unter dem Namen „Modell und Foto Austria“. Lisbeth entwirft Kleidung, die Marie anschließend in Fotoreportagen festhält. Diese erscheinen in bekannten niederländischen Zeitschriften wie Libelle.

Im Jahr 1942 verpflichten die deutschen Besatzer die Juden, sich im Lager Westerbork zu melden und Lisbeth folgt diesem Aufruf. In Westerbork gelingt es ihr, ihren Aufenthalt derart zu verlängern, dass sie nicht nach Deutschland deportiert wird. Sie strickt Pullover für die Frau des Lagerkommandanten, und jedes Mal, wenn ein Transport kommt, stellt sie sicher, dass sie mit ihrem Stück (ein Pullover oder ein Kleid) gerade noch nicht fertig ist. Kurz nach der Befreiung des Lagers, am 6. Mai 1945 heiratet sie Otto Birman, der bereits im Jahr 1938 aus Wien geflohen war. Er arbeitete als Chemieingenieur in Amersfoort, bis er verhaftet und in Westerbork gefangengenommen wurde. Nach der Befreiung bekommt er seine Arbeitsstelle zurück. Lisbeth und Otto wohnen in Amersfoort, wo sie Beate, Helli und Maria im Jahr 1947 zu sich ins Haus nehmen. Lisbeth nimmt die Arbeit als Textildesignerin in ihrem Atelier wieder auf. Ihre Arbeit ist in Sammlungen von mehreren Museen, wie dem Bauhaus-Archiv in Berlin und dem Stedelijk Museum in Amsterdam enthalten.

Literatur

  • Lisbeth Oestreicher Wangler, W. Bauhaus-Weberei am Beispiel der Lisbeth Oestreicher = Bauhaus-weaving of Lisbeth Oestreicher. Keulen: Verlag der Zeitschrift Symbol 1985.

Marie Oestreicher
Marie Oestreicher rond 1937Marie Oestreicher (19.3.1915, Karlsbad – 10.1.1975, Amsterdam), später unter ihrem Künstlernamen Maria Austria bekannt, ist die jüngste Schwester von Felix und wird zwei Monate nach dem Tod ihres Vaters Karl geboren. In Briefen wird Marie oft als „Mariechen“ bezeichnet. Sie geht in Karlsbad auf die höhere Schule und studiert Fotografie in Wien. Im Jahr 1937 zieht sie nach Amsterdam, wo sie gemeinsam mit ihrer Schwester Lisbeth, der Textildesignerin, Fotoreportagen unter dem Namen „Modell und Foto Austria“ macht. Sie arbeiten für mehrere Wochenzeitungen. Ab 1937 ist Maria Austria ihr Künstlername.

Im Jahr 1942 heiratet sie Hans Bial. Im gleichen Jahr ordnen die Nationalsozialisten an, dass alle Juden sich im Lager Westerbork melden müssen. Hans gehorcht diesem Aufruf, Marie jedoch taucht unter. Sie wird Kurierin bei der Widerstandsbewegung und hilft bei der Fälschung von Personalausweisen. Dabei trifft sie Henk Jonker, der sie mit der Fotografie vertraut macht. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg gründen sie gemeinsam mit den Fotografen Aart Klein und Wim Zilver Rupe die Fotoagentur „Particam Pictures“ in Amsterdam. Maria und Henk heiraten 1950. Die Agentur wird mit Fotos über den Wiederaufbau, diverse Theatervorstellungen und mit persönlichen Porträts bekannt. Maria setzt sich dabei im Rahmen der Abteilung GKf (Gebonden Kunsten in de federatie – Gebundene Künste in der Federation) für die Fotografie als unabhängige Disziplin innerhalb der bildenden Kunst ein. Aus diesem Grund spezialisiert sie sich auf Bilder der Avantgarde im Bereich Musik, Theater und Tanz. Im Jahr 1962 lassen sich Henk und Maria scheiden, wonach Maria das Unternehmen Particam Pictures alleine, mit der Hilfe ihrer Assistenten, weiterführt. Am 10. Januar 1975 stirbt sie unerwartet in Amsterdam.

Nach ihrem Tod wird die Stiftung Fotoarchiv Maria Austria - Particam gegründet, die im Jahr 1992 die Stiftung Maria Austria Institut (MAI) [http://www.maibeeldbank.nl/] ins Leben ruft. Das MAI ist derzeit im Stadtarchiv von Amsterdam etabliert. Maria hat viele Fotos von Felix, Gerda und ihren Töchtern gemacht. Für „Modell und Foto Austria“ standen Beate, Helli und Maria manchmal Modell, gekleidet in Stoffkreationen von Lisbeth Oestreicher. Viele Fotos auf dieser Website zum Thema „Die Familie Oestreicher“ wurden daher auch von Maria Austria gemacht und sind im MAI archiviert.

Literatur

  • Kees Nieuwenhuizen Maria Austria. Amsterdam: De Bezige bij 1976.

Gerda Laqueur
Gerda Laqueur met de tweeling 1936

Gerda Oestreicher-Laqueur (9.1.1906, Heidelberg – 31.5.1945, Tröbitz) ist die Frau von Felix und die Mutter der Kinder aus den „Drillingsberichten“. Sie selbst ist das älteste von fünf Kindern von Ernst Laqueur und Margarethe Löwenthal. In Brieg geht sie auf das Gymnasium und bleibt dort mit zwölf Jahren bei ihren Großeltern, um ihren Abschluss zu machen, als ihre Eltern und Geschwister nach Amsterdam ziehen. Im Alter von sechzehn Jahren, nach ihrem Abschluss, folgt sie ihrer Familie in die Niederlande. Sie besucht die Gewerbeschule in Amsterdam, studiert anschließend Germanistik in Groningen und wird Deutschlehrerin. Im Jahr 1929 lernt sie im Labor ihres Vaters Felix Oestreicher kennen. Sie heiraten im Jahr 1930 und ziehen nach Karlsbad, in Felix´ Elternhaus, wo auch dessen Mutter wohnt. Gerda schreibt von 1912 bis 1939, mit einer Unterbrechung von einigen Jahren, mehrere Tagebücher, die bereits teilweise veröffentlicht wurden.

Gerda und Felix bekommen zusammen drei Töchter: Beate (1934) und die Zwillinge Helli und Maria (1936). Im Jahr 1938 flieht die Familie mit Felix´ Mutter, auch „Omi“ genannt, in die Niederlande. Auch innerhalb den Niederlanden müssen sie des Öfteren umziehen. Am 1. November 1943 wird die Familie verhaftet und, mit Ausnahme der kranken Helli, in Westerbork interniert. Nach einiger Zeit werden sie ins deutsche Konzentrationslager Bergen-Belsen gebracht, wo sie fast ein Jahr lang unter schrecklichen Bedingungen gefangen gehalten werden.
Im April 1945, kurz vor der Befreiung, wird die Familie (ohne „Omi“) in den Osten transportiert. Dieser sogenannte „Verlorene Zug“ wird in Tröbitz von den Russen befreit. Beate, Maria, Felix und Gerda werden von einer Familie in Tröbitz aufgefangen, wo sie vorübergehend wohnen können. Alle Familienmitglieder sind stark unterernährt und geschwächt. Gerda wird kurz darauf krank und stirbt am 31. Mai 1945 an Fleckfieber.

Literatur

  • Gerda Oestericher-Laqueur. Gerdas Tagebücher. Deutsch-jüdisch-niederländische Familiengeschichte 1918-1939. Konstanz: Hartung-Gorre Verlag 2010.

Peter Laqueur
Peter Laqueur (29.6.1909, Königsberg – 15.3.1979, Montpellier) ist einer von Gerdas jüngeren Brüdern. Nach dem Krieg zieht er in die USA und wird dort Psychiater. Er ist der Erfinder der Therapie Multiple Family Therapy / the First Model (MFGT). Vor dem Zweiten Weltkrieg heiratete er Lilly Wubbe. Das Paar bekommt zwei Kinder und die Familie zieht nach Argentinien.

Hein Laqueur
Heinz Laqueur (4.12.1914, Braunschweig – 1991, Malcesine) ist einer von Gerdas jüngeren Brüdern. Hein kommt einige Male in den „Drillingsberichten“ vor, als beispielsweise von seinem Besuch berichtet wird. Auch seine Hochzeit mit Judith Révész im Jahr 1942 wird erwähnt. Das Paar bekommt zwei Kinder. Heinz Laqueur war Fabrikant und Händler.

Renate Laqueur
Renate Laqueur (3.11.1919, Brieg – 4.6.2011, New York) ist eine von Gerdas jüngeren Schwestern und das zweitjüngste Kind der Familie. Renate wird in den „Drillingsberichten“ regelmäßig genannt, beispielsweise bei ihrem Besuch zum Geburtstag eines der drei Kinder von Felix und Gerda. Sie macht eine Ausbildung zur internationalen Sekretärin und schreibt gelegentlich Artikel für Frauenzeitschriften.

Zu Beginn des Krieges trifft sie den Logopäden Paul Goldschmidt, den sie später heiratet. Im Februar 1943 werden sie und ihr Mann verhaftet und zunächst im Konzentrationslager Vught und später in Westerbork interniert. Nach fünf Monaten kommen sie dank der Beziehungen von Renates Vater Ernst Laqueur frei. Im März 1944 werden sie erneut verhaftet und nach Bergen-Belsen deportiert. Hier beginnt sie mit dem Schreiben ihres Lagertagebuches, das später veröffentlicht wird. Sie wird im gleichen Zug wie Felix und seine Familie transportiert. Dieser „Verlorene Zug“ wird am 23. April 1945 in Tröbitz befreit. Renate bekommt – ebenso wie Gerda und Felix - Fleckfieber, erholt sich jedoch von dieser Krankheit.

1950 lässt sie sich von Paul Goldschmidt scheiden und heiratet den Logopäden und Psychiater Desö A. Weiss in New York im Jahr 1954. An der dortigen Universität studiert sie Englisch und Spanisch und promoviert anschließend über Lagertagebücher aus dem Zweiten Weltkrieg.

Literatur

  • Laqueur, R. Dagboek uit Bergen-Belsen Amsterdam 1965 (ook verschenen in Duits en Engels).
  • Goldschmidt, S. Verplicht gelukkig. Uitgeverij Cossee 2011.

Liselotte Laqueur
Liselotte Laqueur (31.1.1922, Amsterdam - 1999) ist Gerdas jüngste Schwester und wird in der Regel „Lilo“ genannt. Sie überlebt den Krieg bei ihren Eltern Ernst und Margarethe Laqueur in Amsterdam. In den „Drillingsberichten“ wird sie mehrmals genannt, beispielsweise als sie die Familie von Felix und Gerda besucht. Liselotte wird Krankenschwester und heiratet Hans Cramer im Jahr 1946. Das Paar wandert in die USA aus und bekommt drei Kinder.

Beate Oestreicher
Beate Oestreicher 1980
Beate Oestreicher (8.10.1934, Karlsbad- xx.9.1997) ist die älteste der drei Töchter von Gerda und Felix. Sie überlebt Westerbork und Bergen-Belsen und geht nach dem Krieg zum ersten Mal wirklich zur Schule in Noordhollandse Bergen. Durch die häusliche Schulung von ihren Eltern hat sie ihren Rückstand schnell aufgeholt und besucht direkt im Anschluss das Gymnasium. Ihrer Leidenschaft für Forschung folgend studiert sie danach Chemie in Utrecht und zeigt auch Engagement als soziale Aktivistin. Sie wirkt bei Forschungsprojekten an Instituten im In- und Ausland mit und promoviert auf dem Gebiet der Biochemie in Amsterdam. Dort erforscht sie unter anderem das B-50 Protein. Über diesen Fachbereich, mit dem schon ihr berühmter Großvater Ernst Laqueur beschäftigt war, schreibt sie kurz vor ihrem Tod noch einen großen Artikel. Neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit ist Beate Mitglied in verschiedenen Friedensbewegungen, bei denen sie als Friedensaktivistin unter anderem gegen den Einsatz von Marschflugkörpern protestiert. Als ihr 1997 bewusst wird, dass sie durch ihren schnell wachsenden Blasenkrebs nicht mehr lange leben wird, gründet sie eine Stiftung. Die Stiftung „Beate Oestreicher Friedenswerke“ (BOF) bietet finanzielle Unterstützung für Aktivisten und Gruppen, die in Kriegsgebieten an Versöhnungs- und Friedensprojekten beteiligt sind.

Maria Oestreicher
Maria Goudsblom-Oestreicher 2006
Maria Goudsblom-Oestreicher (27.2.1936, Karlsbad – 29.3.2009, Amsterdam) ist die jüngere der Zwillingstöchter von Felix und Gerda. Sie überlebt die Schrecken von Westerbork und Bergen-Belsen und wird nach dem Krieg gemeinsam mit ihren Schwestern von Verwandten aufgenommen. Nach der Schule nimmt sich Marie ein Zimmer in Amsterdam, um dort Sozialpsychologie zu studieren. Im Jahr 1958 heiratet sie Joop Goudsblom und dort wird 1964 ihr erstes Kind, Clara geboren. Für ein Forschungsprojekt von Joop ziehen sie vorübergehend in die USA, kehren jedoch wieder zurück in die Niederlande, wo Joop Professor für Soziologie in Amsterdam wird. Neben der Erziehung ihrer Kinder widmet sich Maria wissenschaftlichen und anderen Aufgaben. Sie kommentiert und bearbeitet Texte und Lesungen ihres Mannes Joop Goudsblom und engagiert sich für Amnesty International.

Maria ist von der Familiengeschichte der Oestreichers während des Zweiten Weltkriegs fasziniert und erforscht diese. Sie redigiert die Tagebücher von Felix und Gerda und bereitet diese zur Veröffentlichung auf. Als sie in den 90er Jahren die „Drillingsberichte“ entdeckt, stellt sie hiervon eine limitierte Auflage für Familienangehörige zusammen.

Helli Oestreicher
Helli Oestreicher 2010
Helli (später Helly) Oestreicher (27.2.1936, Karlsbad) ist die ältere der Zwillingstöchter von Gerda und Felix. Als die Familie 1943 von den Nazis ins Konzentrationslager deportiert wird, bleibt die siebenjährige Helli allein zurück, weil sie die ansteckende Krankheit Diphtherie hat. Sie wird im jüdischen Senioren- und Behindertenheim De Joodse Invalide aufgenommen. Nach ihrer Genesung wird sie von der Widerstandsbewegung unter dem Namen Elly Strijker beim kinderlosen Ehepaar Braakhekke in Gorssel untergebracht, wo sie den Krieg überlebt. Sie sieht ihre Eltern 1943 zum letzten Mal, da Felix und Gerda den Naziterror nicht überleben. Im Jahr 1945 wird sie wieder mit ihrer Schwester Beate und ihrer Zwillingsschwester Maria vereint.

Helly besucht das Gymnasium und wird im Jahr 1954 an der Kunstgewerbeschule in Amsterdam zugelassen, wo sie 1958 mit Auszeichnung ihren Abschluss im Fachbereich Keramik macht. Im Jahr 1959 heiratet sie den Architekten Reynoud Groeneveld und zieht nach Delft, wo sie ein eigenes Atelier eröffnet. Ab 1962 präsentiert sie ihre eigenen Kunstwerke auf Ausstellungen. Im Jahr 1964 wird ihr Sohn Roger geboren wurde und zwei Jahre später ihre Tochter Larissa. Reynoud absolviert sein Studium zum Bauingenieur in Delft. Im Jahr 1965 schließt er sich den Architekten Powell und Moya in London an und seine Familie zieht mit ihm an den Ort seiner neuen Arbeitsstelle. Helly präsentiert ihre Werke auf verschiedenen Ausstellungen. Im Jahr 1966 ziehen sie zurück nach Amsterdam, wo Reynoud mit den zwei befreundeten Architekten Abel Cahen und Jean Patrice Girod zusammenarbeitet. Sie leben in der Nähe von Hellys Schwestern Beate und Maria und ihrer Tante Maria Austria, und die Familien mit ihren jungen Kindern besuchen sich häufig gegenseitig. Im Jahr 1977 wird Helly Dozentin an der Akademie der Künste Artibus in Utrecht und 1979 Dozentin an der Rietveld Akademie in Amsterdam. Hellys Arbeit ist in den Sammlungen diverser Museen enthalten.

Literatur

  • Marjan Boot, Thimo te Duits, Beppe Kessler e.a. Helly Oestreicher. Haarlem: 99 Uitgevers/Publishers 2011.
  • Catalogus bij een tentoonstelling DENKBEELDEN van Helly: Sonja Herst en Helly Oestreicher. Helly Oestreicher. Breda: de Beyerd 1989.